Anstreben einer Win-win-Situation
Möglichkeiten des Umgangs mit Streitfällen
Im
§ 4 des Gesetzes zur Förderung der Kreislaufwirtschaft
und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen
(Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz – KrW-/AbfG) steht
geschrieben:
Grundsätze der Kreislaufwirtschaft
(1) Abfälle sind
1. in erster Linie zu vermeiden, insbesondere durch die Verminderung
ihrer Menge und Schädlichkeit,
2. in zweiter Linie
a) stofflich zu verwerten oder
b) zur Gewinnung von Energie zu nutzen (energetische Verwertung).
Ähnlich wie bei der Behandlung von Abfällen, kann man bei der Behandlung von Streitfällen vorgehen. Insbesondere der erste Punkt, das heißt Vermeidung oder Verminderung können auch auf Streitfälle übertragen werden.
Was
ist ein Streit?
In Wikipedia wird dies sehr schön definiert: „Streit
ist eine (nicht notwendigerweise feindselige oder manifeste) Uneinigkeit
zwischen mehreren Akteuren oder Parteien. Ungebräuchlich
und nur noch in der Hochsprache verwandt sind Hader für einen
bitteren, anhaltenden, auch mit Waffen ausgetragenen Streit und
Zwietracht für einen die Eintracht sprengenden, eher hassvollen
Streit.
In der Umgangssprache wird (nicht durchgehend) zwischen „Streit“ mit definierten Streitgegenständen (wie zum Beispiel dem Rechtsstreit oder Wettstreit) und dem eher vagen „Zank“ unterschieden (daher die unterscheidende Redensart: „Zank und Streit“). Dabei wird der Zank eher negativ, der Streit ambivalent gesehen (vgl. „zänkisch“ gegenüber „streitlustig“).“
Ein feindseliger oder zänkischer Streit lässt sich kaum oder nur durch Unterwerfung vermeiden. Im Geschäftsleben kommt er glücklicherweise eher selten vor und wird deshalb hier auch nicht weiter behandelt. Wenn ein Streit aber nicht feindselig ist, müsste man ihn doch friedlich beilegen können.
Wie
entsteht eigentlich ein Streit?
Über ein und dieselbe Sache, muss es mindestens 2 unterschiedliche
Meinungen geben und mindestens einer muss bereit sein, sich zu
streiten, um seine Meinung durchzusetzen. Prinzipiell ist die
Anzahl der streitenden Parteien nicht limitiert, sehr häufig
sind mindestens 3 Parteien in einen Streit involviert, wobei sich
meist 2 (Interessen-)Lager bilden.
Fast immer entsteht ein Streit, weil Verträge nicht eindeutig formuliert sind und die Parteien den Vertrag unterschiedlich verstehen. Teilweise entsteht jedoch auch ein Streit, weil eine Partei die Erfüllung des Vertrages für unangemessen hält. Dies soll an folgendem tatsächlich geschehenem Beispiel dargestellt werden. Eine Brauerei kauft eine große komplexe Anlage. Im Vertrag steht, dass die gesamten pneumatischen Bauteile von einem einzigen Hersteller kommen müssen; dem Lieferanten wird jedoch freigestellt entweder SMC, Festo oder Bürkert zu verwenden. Dieser Vertragsbestandteil sieht eindeutig aus. Der Auftragnehmer vergibt nun einige Unteraufträge und gibt diesen Vertragsbestandteil wörtlich an seine Unterlieferanten weiter. Wie nicht anders zu erwarten, wurden nun in der Gesamtanlage Pneumatikbauteile von 3 verschiedenen Lieferanten installiert. Als der Bauherr dies feststellt informiert er unverzüglich seinen Vertragspartner und bittet ihn (sehr höflich) dafür zu sorgen, dass der Vertrag eingehalten wird und nur Bauteile von einem einzigen Pneumatiklieferanten installiert werden. Bei diversen Baubesprechungen spricht die Brauerei diesen Punkt an. Dies wird teilweise in den Protokollen festgehalten wie: „Herr Müller weist darauf hin, dass die Pneumatikteile laut Vertrag nur von einem einzigen Lieferanten kommen sollten.“ Man könnte nun glauben, die Brauerei hat alles richtig gemacht. Als nach einigen Wochen die Abnahme ansteht, verweigert die Brauerei die Abnahme mit der Begründung, dass die Pneumatikteile nicht vertragsgemäß geliefert und installiert wurden sind. Da die Brauerei sich zu „freundschaftlich gestritten“ hat und weder eine Mängelrüge erteilt, noch eine Frist zum Austausch der falschen Teile vorgegeben hat, durfte der Lieferant davon ausgehen, dass dies der Brauerei nicht so wichtig wäre. Auch ist der Brauerei kein bezifferbarer Schaden entstanden und der Aufwand für einen Austausch der vertragswidrig installierten Bauteile wäre unverhältnismäßig hoch, im Vergleich zum möglichen Nutzen für die Brauerei.
Was
hat die Brauerei nun falsch gemacht?
Im Zivilrecht kann insbesondere unter Vollkaufleuten fast alles
vertraglich vereinbart werden, es muss jedoch eindeutig sein,
dass beide Parteien dies wirklich so vereinbaren wollten und dass
ihnen bestimmte Punkte entsprechend wichtig waren. Seitenlange
Allgemeine Geschäftsbedingungen [AGB] erfüllen in der
Regel nicht diese Voraussetzung; der Wert der ABG wird fast immer
überschätzt. Hätte man in dem Vertrag einen Satz
aufgenommen, aus dem klar hervorgeht, dass bei Zuwiderhandlung
der Vorgabe, für bestimmte Bereiche immer nur Bauteile von
einem einzigen Hersteller zu verwenden, der Lieferant Bauteile
die nicht der Vorgabe entsprechen auf seine Kosten unverzüglich
austauschen wird, wäre der Streit möglicherweise zu
vermeiden gewesen. Bei der Formulierung sollte man so konkret
wie möglich sein und sich nicht scheuen Beispiele in den
Vertrag zu schreiben. Das Wort „Vorgabe“ könnte
man als abstrakte Beschreibung ansehen und später versuchen
dieses Wort entsprechend der eigenen Interessenlage zu interpretieren.
Wenn man z.B. schreibt: „... Vorgabe entsprechen, d.h. wenn
z.B. Pneumatikbauteile inkl. Vorsteuerventile oder Endschalter
von mehr als einem einzigen Hersteller eingebaut werden, wird
der Lieferant ...“, wird deutlich was gemeint ist. Es geht
hierbei weder um Juristendeutsch noch um eine Bewerbung für
einen Literaturpreis. Wenn es einem um 12 mm Näherungsinitiatoren
geht, sollte man dies schreiben und nicht allgemein von z.B. Endlagenrückmeldungen
sprechen. Je allgemeiner einer Formulierung gewählt wird
und desto mehr sie eigentlich umfasst, desto leichter kann sie
interpretiert und für nichtig erklärt werden.
Die
Präambel
Eine Präambel kennt man z.B. von Staatsverträgen her.
Sie ist am Anfang eines Vertrages zwischen zwei Wirtschaftsunternehmen
zwar eher unüblich, aber bei späteren Streitfällen
äußerst hilfreich und sollte deshalb bei keinem Vertrag
fehlen! Hier kann die Brauerei z.B. ganz allgemein beschreiben,
warum sie eine neue Anlage kauft und welche Funktion sie erwartet.
Zu der Erwartung gehört z.B. auch das Zusammenfügen
der Einzelteile zu einem ganzen Maschine. Auch grundsätzliche
Forderungen, wie möglichst kurze Produktrohrleitungen mit
möglichst wenig Rohrbögen und grundsätzliche Anforderungen
an die Ergonomie, wie die leichte Erreichbarkeit von manuell zu
betätigenden Bauteilen oder auch die Position von Probenahmeventilen.
Allgemeine Hinweise wie „hygienisch einwandfreie Ausführung“
sind zwar möglich, besser ist jedoch eine Formulierung wie
„... nach dem Stand der Technik unter Berücksichtigung
der Richtlinien der EHEDG ...“.Die Präambel hat jedoch
nicht den Zweck, den Lieferanten zu übervorteilen. Hier sollen
grundsätzliche und für beide Parteien wichtige Punkte
aufgelistet werden, damit sie beiden Parteien bewusst sind. Streitfälle
entstehen üblicherweise nicht, weil eine Partei bösartig
ist sondern weil man verschiedener Meinung über ein und dieselbe
Sache ist. Eine Präambel ersetzt nicht einen sauber formulierten
Vertrag, sie hilft aber bei der Auslegung von Mehrdeutigkeiten
oder scheinbaren Missverständnissen.
Manchmal findet man offensichtliche Fehler in einem Vertrag. Ein häufig anzutreffender Punkt ist das Schüttgewicht von Malz. Dem Brauer ist das Schüttgewicht des Malzes relativ unwichtig, er will eine bestimmte Menge Malz in einer bestimmten Zeit annehmen und einlagern oder schroten. Der Brauer denkt hier in Tonnen pro Stunde oder in Tonnen. Silos fassen jedoch Kubikmeter und Förderer fördern Kubikmeter pro Stunde. Die Größe des Silos fällt deutlich unterschiedlich aus wenn sie für Weizen mit einem Schüttgewicht von 0,75t/m³ anstatt für Malz mit 0,56t/m³ ausgelegt ist. Wenn das Malz aber nun ein Schüttgewicht von 0,61t/m³ hat, wird der Brauer seine Silos entsprechend voller füllen wollen, falls in der Statik dies berücksichtigt wurde und die Silos für die höhere Last zugelassen sind. Beim Schüttgewicht sollte deshalb immer eine Spanne, d.h. das kleinst- und das größtmögliche zu erwartende Schüttgewicht sollte angegeben werden.
Ein weiterer häufiger Streitpunkt ist die durchschnittliche Leistung. Wenn z.B. ein 500hl Tank in einer Stunde entleert wird, leistet die Pumpe durchschnittlich 500hl/h. Da der volle Tank der Pumpe aber einen deutlich höheren Vordruck bietet, kann es sein, dass die Pumpe zunächst 750hl/h fördert, um dann kontinuierlich auf 250hl/h abzufallen. Für zahlreiche Prozesse wäre ein solches Förderverhalten unbrauchbar. Wenn beschrieben wird welche Anforderungen der nachfolgende Prozess hat, ist die Festlegung von Betriebspunkten überflüssig. In realen Prozessen gibt es keine Betriebspunkte. Nur die Uhr die steht, geht auf den Punkt genau zweimal am Tag richtig, alle anderen Uhren, inkl. Cäsiumuhren haben eine Abweichung. Aus diesem Grunde sollten immer alle denkbaren oder konkret zu erwartenden Betriebsbedingungen beschrieben werden.
Ebenfalls ein häufiger Streitpunkt ist die Angabe bzw. Ausführung eines Konuswinkels. In Abb. _winkel ist die Interpretationsmöglichkeit eines 70° Konuswinkels dargestellt.
Häufig hat die Brauerei es mit Geschäftspartnern zu tun, die zwar eine große Erfahrung in Brauereien haben, aber keine Brautechnische Ausbildung haben. In Angeboten werden von diesen Lieferanten teilweise recht abenteuerliche „Fachausdrücke“ verwendet. Ausdrücke wie Hefeküche oder Fermentationsbrühe mögen den Brauer amüsieren, er sollte ihnen aber immer widersprechen und darauf bestehen, dass in einem Vertrag nur korrekte Bezeichnungen stehen. Wenn möglich, sollten die Bezeichnungen so genau wie möglich sein, d.h. z.B. „Malz, dies umfasst Gerstenmalz, Malz aus anderen Getreiden wie Weizen, Roggen oder Dinkel und Spezialmalze“ und nicht „Getreide“ oder sogar „Schwergetreide“. Malz ist weder Getreide noch Schwergetreide und eine Fehllieferung mit nachfolgendem Streit ist vorprogrammiert, wenn nicht die korrekten Ausdrücke verwendet werden. Dies gilt natürlich auch, wenn der Lieferant etwas spezifiziert, das der Brauer nicht versteht. Eine „Labyrinthabdichtung“ klingt sehr technisch, ist für den hygienischen Anlagenbau aber eher ungeeignet. Häufig erklärt der Lieferant dem Brauer, was er unter bestimmten Bauteilen zu verstehen hat, dies wird jedoch fast nie protokolliert und ist später kaum beweisbar. Es ist zwar häufig Vertragsbestandteil geworden, wenn man aber dies nicht beweisen kann, hilft es einem nicht dabei einen Streit zu gewinnen.
Selbst bei einem sehr sorgfältig ausgearbeitetem Vertrag ist ein Streit möglich. Wenn man vorher das gewusst hätte, was man nachher weiss, würde es keine Streitfälle geben. Ein Vertrag muss natürlich noch lesbar und erfüllbar bleiben. Wenn es trotz sorgfältiger Ausarbeitung des Vertrages zu einem Streit kommt, wird man immer versuchen einen Streit intern zu lösen, was erfahrungsgemäß in 80 bis 90% aller Streitfälle auch gelingt. Falls es nicht möglich ist den Streit direkt untereinander beizulegen, ist es hilfreich wenn man bereits im Vertrag festgelegt hat, wie bei einem Streit vorgegangen werden soll. Auch hier gilt es so präzise wie möglich die gewollte Streitschlichtung zu beschreiben. Üblich ist häufig eine Schiedsgutachterabrede, hier überlässt man es einem Sachverständigen über den Streit zu entscheiden. Schiedsgerichtsverfahren werden insbesondere bei internationalen Verträgen oder bei Baustreitigkeiten als Streitschlichtungsverfahren gewählt. Das Güteverfahren ist relativ neu, in Niedersachsen gibt es z.B. derzeit 27 staatlich anerkannte Gütestellen, von denen 26 von Volljuristen, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, besetzt sind.
Wenn es nicht darum geht festzustellen wer Schuld hat sondern um eine Lösung mit der alle Parteien leben können, ist das Güteverfahren vor einer staatlich anerkannten Gütestelle ein sehr schnelles, relativ kostengünstiges Verfahren, das in der rechtlichen Qualität, inklusive der Hemmung der Verjährung und der Vollstreckbarkeit, eine vollwertige Alternative zu einem staatlichen Gericht darstellt. Bereits durch die einseitige Anrufung einer Gütestelle wird die Verjährung gehemmt. Gegenüber einem Schiedsgutachterverfahren hat es den Vorteil, dass nicht ein Dritter entscheidet sondern die Parteien zusammen mit dem allparteilichen Dritten die Lösung erarbeiten. Die Gütestelle wendet bei einer Verhandlung eines Streites zwischen zwei oder mehr Wirtschaftsunternehmen zwar die Grundregeln der Mediation an, sie hat aber mit z.B. einer üblichen Familienmediation sehr wenig gemeinsam. In Verhandlungen mit Wirtschaftsunternehmen geht es nicht selten bis an die Belastungsgrenzen, die Verhandlungen sind zwar friedlich, aber sicher nicht „weichgespült“. Es ist meistens eine knallharte Verhandlung, jedoch nicht mit dem Ziel den Schuldigen zu ermitteln sondern eine Lösung zu erarbeiten, mit der alle Beteiligten irgendwie leben können. Eine win-win-Situation ist zwar erstrebenswert, aber vollständig nur selten zu erreichen. Wenn aber zwei Parteien aus einer Verhandlung kommen und jede davon überzeugt ist, dass ihre Hälfte ein klein wenig größer ist, als die der anderen Partei, dann ist der geschlossene Vergleich ein guter Vergleich. Sollte das Güteverfahren wider Erwarten scheitern, wird die Rechtsposition durch das Güteverfahren nicht verändert.
Die
hier dargestellten Fälle und Hinweise dienen nur der Veranschaulichung
der Problematik und stellen selbstverständlich keine Rechtsberatung
dar, sie sind teilweise sehr vereinfacht dargestellt und können
die Beratung durch einen Rechtsanwalt nicht ersetzen.